Aus der Verzweiflung rausholen

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Von Isabell Steinhauer, Wetterauer Zeitung v.6.5.2019. Die Aktion Silberstern des Freiwilligenzentrums (FWZ) bietet im Wetteraukreis Schulungen für Unternehmen, Vereine und Organisationen zum Krankheitsbild Demenz an. Die Seminare werden über das Land Hessen finanziert, die Teilnahme ist kostenlos. Infos gibt es unter Tel. 06032 509924 oder per E-Mail an fwz@fwz-badnauheim.de

Jährlich erkranken in Deutschland 300 000 Menschen an Demenz. Da die Zahl der Neuerkrankungen die der Sterbefälle übersteigt, kommen pro Jahr 40 000 Erkrankte hinzu. „Demenz gesellschaftsfähig machen“, das will Ingrid Schmidt-Schwabe, die sich seit über zehn Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt.

Jährlich erkranken in Deutschland 300 000 Menschen an Demenz. Da die Zahl der Neuerkrankungen die der Sterbefälle übersteigt, kommen pro Jahr 40 000 Erkrankte hinzu. „Demenz gesellschaftsfähig machen“, das will Ingrid Schmidt-Schwabe, die sich seit über zehn Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt.

„Als wäre man aus dem Schlaf gerissen, man weiß nicht, wo man ist, die Dinge kreisen um einen her, Länder, Jahre, Menschen. Man versucht sich zu orientieren, aber es gelingt nicht. Die Dinge kreisen weiter. Tote, Lebende, Erinnerungen, traumartige Halluzinationen, Satzfetzen, die einem nichts sagen – und dieser Zustand ändert sich nicht mehr für den Rest des Tages“, schreibt Arno Geiger in seinem Buch „Der alte König in seinem Exil“, einer Schilderung der letzten Lebensjahre seines an Demenz erkrankten Vaters.

Schmidt-Schwabe gründete das Projekt Silberstern, um Menschen für diese Erkrankung zu sensibilisieren. „Wir müssen sie rausholen aus ihrer Einsamkeit und Verzweiflung“, fordert die Vorsitzende des Freiwilligenzentrums und stellvertretende Vorsitzende des Bad Nauheimer Seniorenbeirats. Daher sei es vor allem wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten. „Für mich ist das eine Herzensangelegenheit“, sagt Schmidt-Schwabe, die seit vielen Jahren Vorträge bei Vereinen und Unternehmen hält und auch den Lehrplan für die Ausbildung zu Senioren- und Demenzbegleitern verfasst hat.

Im Fokus stünden nicht nur die Erkrankten, sondern auch die pflegenden Angehörigen und Lebenspartner, „die sich oft mit dem demenziell Erkrankten zu Hause im stillen Kämmerlein verstecken“, aus Angst vor peinlichen Verhaltensweisen des Demenzkranken.

Es gebe über 50 demenzielle Erkrankungen, die Alzheimer’sche Demenz sei mit 60 bis 70 Prozent die häufigste. „Sie können sich das so vorstellen wie eine Reihe von Büchern – die sogenannte Gedächtnisbibliothek, in der von der Kindheit über die Jugend bis zum Erwachsenenalter alle Bücher in einer Reihenfolge stehen. Jetzt fallen die hinteren Bücher um – dieses Wissen, diese Erinnerungen sind für immer verloren, nach und nach fallen immer mehr Bücher.“ Dies könne bedeuten, dass ein an Demenz erkrankter Mensch plötzlich meine, morgens zur Arbeit zu müssen, oder seine Kinder nicht mehr erkenne, weil diese inzwischen erwachsen geworden sind. „Dieses Wissen ist weg – unwiderruflich.“

Es komme aber auch zu Verhaltensweisen, die Außenstehenden irrational erscheinen müssten: „So kann sich ein an Demenz Erkrankter in einem Gespräch völlig unauffällig verhalten. Die Gesprächspartner merken zunächst nichts – bis sich der Demenzkranke plötzlich die Brille mit einer Wurstscheibe putzt. Das hört sich zunächst lustig an, für die Angehörigen sind solche Situationen zumeist unendlich peinlich. Das führt zur Vereinsamung von Betroffenen und Angehörigen“, erklärt Schmidt-Schwabe. Während in den ersten Stadien der Demenz nur der Betroffene merke, dass „etwas in seinem Kopf nicht stimmt“, seine Defizite noch überspielen könne, sei es in den späteren Stadien so, dass der Betroffene die Veränderungen nicht mehr auf sich selbst zurückführen könne, Angehörige diese Defizite oft nicht einordnen könnten und mit Vorwürfen reagierten. „Demenziell erkrankte Menschen leben in ihrer eigenen Realität“, erklärt Schmidt-Schwabe, zudem stellten sich beim Demenzkranken Ängste und Stress ein, weil er Menschen nicht mehr erkenne, seine Umgebung plötzlich fremd wirke, das Vertraute und damit die Geborgenheit verloren gingen. Der Erkrankte versuche, Aktivitäten und Situationen zu vermeiden, die ihn verunsicherten. „Aktivitäten überfordern den Demenzkranken in diesem Stadium oder machen Angst“, sagt Schmidt-Schwabe. Es bringe also nichts, den Erkrankten dazu überreden zu wollen „mehr zu tun“. Der Betroffene brauche Trost und Nähe, „ein bedingungsloses, verzeihendes Annehmen, ein Geben ohne die Erwartung einer direkten Gegenleistung“.

 

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